Im März diesen Jahres entwickelten wir Gründer*innen der New Work Academy basierend auf unserer Erfahrung und der Selbstbestimmungstheorie von Richard M. Ryan und Edward L. Deci den Agile Maturity Star. Seitdem ist viel passiert und das Modell durch unsere Meetups, verschiedene Barcamps, Unkonferenzen und unsere Ausbildung zum Agile Coach gereist. Mit Hilfe des überall eingesammelten Feedbacks haben wir das Modell intern weiter-iteriert und möchten euch heute die neuste Version im neuen Gewandt vorstellen sowie erläutern, wie das Growth Model anzuwenden ist.
Agile Maturity beschreibt aus unserer Sicht inwiefern ein Mensch, Team oder die gesamte Organisation ihr Handeln, ihre Arbeitsstruktur und ihre Kultur auf die kontinuierliche Verbesserung ausgerichtet hat. Im Kern bedeutet das: Wie schaffe ich Transparenz über die bestehende Arbeit und wie organisiere ich Sollbruchstellen fürs Inspizieren und Anpassen. Das Thema Agile Maturity betrifft im Grunde alle Organisationen, da sich die Menschheit in einem Prozess der permanenten Veränderung befindet, der in den letzten Jahrzehnten an Tempo durch die digitale Beschleunigung zugelegt hat. Mehr als jemals zuvor gewinnt heutzutage derjenige, der die schnellste Reaktionszeit und den konstruktivsten Umgang mit Veränderungen vorzuweisen hat. Dies betrifft sämtliche große Themen der Organisationsentwicklung: Mitarbeiter-Branding, Fachkräfte-Recruiting, Innovationsprozesse und die Optimierung der Wertstromketten.
Die meisten agilen Reifemodell beschäftigen sich daher mit Empfehlungen zu einzelnen Kategorien von Unternehmen, die sie zumeist mit Leveln oder Stufen beschreiben. Man versucht Agilität zu messen: Die Anzahl an Retrospektiven, Scrum-Teams, Kanban-Boards, Scrum-Mastern oder Führungskräften, die auf Augenhöhe Gemba-Walks durchführen. Level 1 könnte IT-Scrum sein: Also Scrum auf der Team-Ebene und ausschließlich in der IT-Abteilung. Auf Level 2 macht dann die Fachabteilung mit und Level 3 ist dann erreicht, wenn firmenweite Open Spaces stattfinden? Und das ist nur ein simples Beispiel, wie ein solches Stufenmodell arbeitet und dementsprechende Empfehlungen herausgibt, so dass jeder wie nach Kochbuch seine eigene agile Organisation aufbauen kann oder zwanghaft versucht, das nächste Level zu erreichen. Wir haben immer wieder festgestellt, diese quantitative Messbarkeit ist nicht möglich und qualitative Messungen in Stufenmodelle zu drücken, die reinste Verschwendung.
Daher haben wir ein Modell entwickelt, welches euch persönlich und im direkten Arbeitskontext sofort unterstützen kann. Das Geheimrezept jeder Organisationsentwicklung und jedes agilen Begleitungsprozesses lautet wie immer Kommunikation und zu dieser gilt es einzuladen. Daher möchte unser Growth Model vor allem beim Wachstum durch Kommunikation unterstützen. Anstatt zu kategorisieren nennt es euch Themen, über die ihr euch austauschen könnt. Egal, ob dies als Selbstreflexion im Tandem, mit eurem Vorgesetzten, im Team oder in größeren Runden stattfindet: Das Agile Maturity Growth Model fokussiert euch auf Inhalte, über die es sich zu sprechen lohnt, laut Selbstbestimmungstheorie…
Ryan und Deci haben sich ausführlich mit dem Thema Motivation im Arbeitskontext von Teams beschäftigt und vereinfacht das Folgende festgestellt: Wer in seinem Umfeld die Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit erfüllbar macht, schafft eine Arbeitsumgebung, in der Menschen motiviert ihrer Tätigkeit nachgehen. Mit dieser Prämisse gehen wir davon aus, dass die aktive Auseinandersetzung mit Themen, die diese Grundbedürfnisse betreffen, zu mehr Motivation am Arbeitsplatz führt und dies führt wiederum zu einer größeren Lern- und Veränderungsbereitschaft.
Unserer Erfahrung nach lohnt es sich insbesondere in den folgenden fünf Themenfeldern die Kommunikation anzustoßen und eine bewusste Entwicklung proaktiv anzugehen. Wir beginnen hierbei bewusst mit der Zielklarheit, da bekannt sein muss, welche Mission verfolgt und warum eine Veränderungsstrategie angewendet werden soll. Einfach mal agil werden zu wollen, ist kein guter Grund, selbst wenn der Markt einen unter Druck setzt.
Die Zielklarheit sollte ausdifferenziert darstellen, warum von oben was genau entschieden und beauftragt wurde, also welche Ziele erreicht werden und welche Visionen erfüllt werden sollen. Oft herrscht hier große Unsicherheit, die nur durch klare Gespräche und die Auseinandersetzung mit dem Thema Zielklarheit aus dem Weg geräumt werden kann.
Autonomie meint laut Selbstbetimmungstheorie nicht, dass jeder seiner eigenen Unabhängigkeit innerhalb einer Organisation nachgehen sollte – im Gegenteil! Autonomie meint hier, dass wir lernen in der Auseinandersetzung mit anderen uns selbst zu regulieren. Welches Arbeitspaket wähle ich, wie stimme ich meine Urlaubszeiten im Team ab und welche meiner eigenen Ideen, kann ich verfolgen, um uns erfolgreich zu machen. Wir sind die Expert*innen unseres eigenen Arbeitsumfeldes und in sofern sollten wir hier die Freiheit bekommen, dies selbst (mit nahen Kolleg*innen) regulieren zu dürfen.
Der Prozess des Lernens kann bewusst oder unbewusst organisiert sein. Lernende Organisationen haben Mechanismen und Routinen entwickelt, wie Wissen erworben, geteilt und verknüpft werden kann. Fühlen sich Mitarbeitende kompetent, zahlt das auf ihre Motivation ein und der Lösungsraum wird erweitert.
Uns begegnen immerzu Probleme, die ein anderer Mensch bereits gelöst haben könnte. Jede Organisation braucht daher ein kollektives Gedächtnis, welches gepflegt und gut miteinander verknüpft sein sollte. Wenn wir die Gelegenheit haben, unsere Erfahrungen teilen zu können, Beziehungen aufbauen und unterhalten dürfen und auf einen Pool an Erinnerungen von Lösungen zurückgreifen können, dann nehmen wir uns bewusst als Teil eines großen Ganzen wahr und arbeiten motivierter an dessen Fortbestand.
Und dieser Fortbestand sollte möglich gemacht werden, indem wir unter Bedingungen arbeiten, die nicht durch Verschwendung, Verlusten oder massivem Energieverbrauch gezeichnet sind. Dies gilt gerade auch für die Menschen, die in dem System tätig sind und ihre Gesundheit. Überstunden können vorkommen, signalisieren jedoch eine schlechte Bilanz des Arbeitsarrangements. Ressourcen müssen sich regenerieren können, Produktionsabläufe eine Wartung und Qualitätssicherung ermöglichen und Ergebnisse in einem Tempo ausgeliefert werden, was der Organisation nicht mittel- oder langfristig an verschiedenen Stellen schadet.
Getestet haben wir es bereits mit Gruppen von kleiner (3-9) bis mittlerer (20-35) Größe. Der folgender Leitfaden stellt Anwendungsmöglichkeiten vor.
Bringt zunächst die gewünschte Gruppe zusammen und erzählt ihnen, dass ihr euch bewusst mit Themen auseinandersetzen möchtet, die das agile Wachstum der Organisation voranbringen können. Ladet sie zu einem Gespräch ein. Vielleicht innerhalb einer Retrospektive oder am Anfang einer Veränderungsbegleitung. Der Kontext ist im weitesten Sinne kontinuierliche Verbesserung mit Blick auf agile Zusammenarbeit.
Zunächst macht ein Brainstorming zum Thema Transparenz. Was bedeutet das für euch? An welchen Stellen möchtet ihr transparent arbeiten? Wo fehlt es euch an Informationen und Daten? Ziel ist es, bei jedem Thema ein einheitliches Verständnis zu entwickeln und das Modell als einen externen Coach zu verwenden, der euch auf wichtige Themen aufmerksam macht. Darüber sprechen, Informationen sammeln und Ergebnisse visualisieren müsst ihr jedoch selbst.
Wählt nun je nach Gruppe eines oder mehrere Themen aus, die ihr in eurem Meeting quasi als Workshop bearbeiten wollt. Es kann sinnvoll sein, Kleingruppen zu bilden, um alle Bereiche abzudecken oder fünf verschiedene Strategien zu entwickeln, die ein einziges Thema bearbeiten. Klassischer Weise beginnen wir mit der Zielklarheit, um herauszufinden, warum überhaupt agil gearbeitet werden soll.
Im Agile Maturity Growth Model sind zu jedem Thema Coaching-Fragen hinterlegt, die euch dabei helfen, eine Bestandsaufnahme zu machen und aufzudecken, ob jeder den gleichen Kenntnisstand zum Thema vorliegen hat. Lasst die Teilnehmenden ihre Erfahrungen und Kenntnisse miteinander teilen. Am Ende sollte stets ein Ergebnis visualisiert werden, mit dem sie bei der nächsten Zusammenkunft weiterarbeiten können.
Unser Modell ist so konzipiert, dass es Gespräche anregen und auf bestimmte Themen, die Motivation stärken können, aufmerksam machen soll. Bitte verwendet es flexibel, denkt euch weitere Coaching-Fragen aus oder ergänzt Themen, die für eure agile Reife wichtig erscheinen. Als New Work Academy möchten wir Orientierung schaffen, so dass wir zwar einige Themen vorgeben, jedoch bewusst nicht bewerten wollen, wer in welchem Grad agil arbeitet. Es gibt daher auch keine Empfehlungen von uns, an welchen Themen obligatorisch gearbeitet werden muss. Wer auch immer mit dem Agile Maturity Growth Model arbeitet bestimmt selbst, auf welches Thema er/sie schauen möchte und in welcher Intensität. Die Fragen geben Anregungen zum Nachdenken. Sie müssen nicht stets komplett beantwortet werden.
Das Agile Maturity Growth Model ist vielseitig einsetzbar und kann die Kommunikation in verschiedenen Kontexten auf bestimmte Themen fokussieren. Ziel ist Themen sichtbar zu machen, die die Motivation steigern können und Selbstcoaching-Fragen als Orientierung zur Verfügung zu stellen. Für eine kontinuierliche Verbesserung im Sinne von Inspect und Adapt kann das Agile Maturity Growth Model zum Austausch von Mitarbeitenden auf diese Weise wirkungsvoll und kreativ angewendet werden und die agile Reife fördern, ohne sie zu bewerten.
Hier könnt ihr es als PDF herunterladen und dann für den eigenen Kontext nutzen. Wir freuen uns über euer Feedback.