Mein heutiger Blogbeitrag beschäftigt sich mit Ängsten, die uns in der Rolle des Scrum Masters blockieren, als auch mit der Furcht mit der ein Scrum Master (aka Agile Coach) öfters konfrontiert wird.
In der Community wird emotional darüber diskutiert, ob wir die Rollen Agile Coach und Scrum Master gleichsetzen dürfen. Schauen wir doch zunächst in den Scrum Guide, welche Aufgaben ein Scrum Master hat:
Der Scrum Master ist für das Verständnis und die Durchführung von Scrum verantwortlich. Er tut dies, indem er dafür sorgt, dass das Scrum Team die Theorie, Praktiken und Regeln von Scrum einhält. Der Scrum Master ist ein Servant Leader für das Scrum Team. Der Scrum Master hilft denjenigen, die kein Teil des Scrum Teams sind, zu verstehen, welche ihrer Interaktionen mit dem Team sich hilfreich auswirken und welche nicht. Der Scrum Master hilft dabei die Zusammenarbeit so zu optimieren, dass der durch das Scrum Team generierte Wert maximiert wird.
https://www.scrumguides.org/docs/scrumguide/v1/Scrum-Guide-DE.pdf (Seite 6)
Aus meiner persönlichen Perspektive trifft diese Beschreibung auch zu 100% auf einen Agile Coach zu. Der Kompromiss in Diskussionen liegt oft darin, dass wir in der Praxis oft einen Scrum Master dediziert in ein bestimmtes Scrum Team setzen und dieser sich auf die Arbeit innerhalb dieses Teams fokussiert. Parallel leisten sich manche Organisationen dann einen Agile Coach, der nicht Teil eines Scrum Teams wird, sondern als Organisationsentwickler*in theoretisch überall zum Einsatz kommen darf. Schauen wir erneut in den Scrum Guide, entspricht dieses Aufgabenfeld jedoch auch dem des Scrum Masters:
Leiten und Coachen der Organisation bei der Einführung von Scrum; Planen von Scrum-Implementierungen innerhalb der Organisation; Unterstützen von Kollegen und Stakeholdern, Scrum und empirische Produktentwicklung zu verstehen und umzusetzen; Auslösen von Veränderungen zur Produktivitätssteigerung des Teams; Zusammenarbeiten mit anderen Scrum Mastern, um die Effektivität von ScrumImplementierungen innerhalb der Organisation zu verbessern.
https://www.scrumguides.org/docs/scrumguide/v1/Scrum-Guide-DE.pdf (Seite 7)
Es ist natürlich sehr bequem, dass wir Agile Coaches davon befreien, den Blick auf ein bestimmtes Team richten zu müssen und den Scrum Master dazu verdonnern, sich ewig nur auf Scrum zu konzentrieren (als hätte er keine anderen Fähigkeiten). Dadurch dass wir keinen „Agile Coach Guide“ haben, kann hier jeder einzelne für sich seine Wahrheit definieren. Mein Vorschlag wäre jedoch eher den Agile Coach als Beruf zu betrachten. Laut Wikipedia ist dies eine „aufgrund besonderer Eignung und Neigung systematisch erlernte, spezialisierte, meistens mit einem Qualifikationsnachweis versehene, dauerhaft und gegen Entgelt ausgeübte Betätigung eines Menschen“. Ausbildungen zum Agile Coach gibt es inzwischen zahlreich (von mindestens zehn Tagen bis zu einem halben Jahr in Vollzeit). Für Scrum Master gibt es nach wie vor lediglich 2-3 tägige Zertifizierungskurse.
Er kann als Kanban Trainer auftreten und in Organisationen dabei unterstützen Kanban zu verstehen und richtig anzuwenden. Er kann mit Design Thinking arbeiten und Produkt-Teams dabei helfen, auf kreativem Wege zu neuen Innovationen zu gelangen. Gleichzeitig kann er als Organisationsentwickler innerhalb der gesamten Organisation dabei helfen, Veränderungen zu begleiten. Und er kann in die Rolle des Scrum Masters für ein oder mehrere Teams schlüpfen und die oben zitierten Aufgaben erfüllen.
Für viele ist es der Einstieg. In der Rolle des Scrum Masters lässt sich prima erlernen, wie Coaching und Begleitung eines Teams und einer Organisation funktionieren kann. Und gleichzeitig ist es eben nur eine Rolle. Der eigentliche Beruf heißt Coach und zwar für agile Arbeitsweisen – der Agile Coach! In sofern kommen auch Scrum Master zur Erkenntnis, dass ihr Team das Framework wechseln oder anpassen könnte (nutzen wir wirklich für unsere Aufgabe das bestmögliche Framework?), dass ihre Organisation eine neue Veränderung austesten könnte und grundsätzlich versuchen Scrum Master sich überflüssig zu machen, damit sie ggf. eine weitere der oben genannten Rollen einnehmen können, die zu ihrem Beruf Agile Coach gehört.
Festangestellte Scrum Master werden oft dazu „erzogen“, dass sie möglichst nicht über den Tellerrand schauen dürfen. Als Teil eines oder bestenfalls mehrerer Scrum Teams wird die Verantwortung für die Leistung des Teams und seinen Ergebnissen immer wieder hervorgehoben und betont. Dadurch entwickelt sich eine Furcht, die ich mal in einigen Sätzen zusammenfasse, die auch mir schon im Kopf in der Vergangenheit herumspukten:
Die Liste lässt sich beliebig erweitern und die Antwort lautet aus meiner Perspektive immer gleich: Ja, du darfst das zumindest kommunizieren, vorschlagen und sichtbar machen, dass du es gerne tun würdest. Gehe ins Gespräch und lerne ggf. was andere Menschen darüber denken.
Unsere persönlichen Ängste in der Rolle des Scrum Masters kommen teilweise aus uns selbst heraus, teilweise nehmen wir sie jedoch auch von außen wahr! Die Scrum Master Rolle ist für viele Organisationen neu und in sofern fehlen hier meist die Erfahrungswerte. Für einige Menschen ist dies unheimlich und der Wunsch nach Kontrolle vor dem großen Unbekannten kommt sehr schnell auf. Daher findet sich oft im mittleren Management die Haltung wieder, dass Scrum Master besser nicht zu weit gehen sollten. Bitte schön im Scrum Team bleiben, ansonsten erstmal in die Struktur der Organisation eingliedern und anpassen. Die Rolle des Scrum Masters verkommt quasi zum Team-Lead. Jetzt geht es nur noch ums Servant Leading: Diene dem Team und lass mich in Ruhe oder gebe mir einmal im Sprint einen Status-Report, wie es läuft. Auf diese Weise bleibt der Scrum Master ungefährlich. Er coacht nicht (außerhalb des Scrum Teams), er steuert sein Team, er berichtet nach außen. Er konzentriert sich auf Probleme innerhalb des Teams. Hier soll er auch ja nicht kuschelig sein! Aber wenn es ums Außen geht, bitte alle mit Samthandschuhen anfassen 🙂 – Hier geht es auch um klassische Hierarchien, Länge der Betriebszugehörigkeit, etc. – der Scrum Master soll all dies berücksichtigen, ehe er Vorschläge macht oder gar Feedback gibt.
Eine Kollegin meinte mal zu mir, dass mein Feedback eine mächtige Wirkung hätte und wir philosophierten darüber, wie achtsam wir mit dieser Fähigkeit umgehen wollen. Es ist eine Frage der Haltung. Doch was ist, wenn ich mich als Agile Coach in der Hierarchie über den Scrum Mastern sehe? Wenn ich nicht den Eindruck teile, dies ist unser gemeinsamer Beruf, sondern ich habe die privilegiertere Rolle? Der Weg zum Verlust der Augenhöhe passiert dann quasi automatisch. Spätestens, wenn synchron gesprintet werden soll: Jetzt verliert der Scrum Master nämlich sogar die Verantwortung über den Prozess im eigenen Team. Der Agile Coach gibt vor, wie und wann die Organisation ihre Ereignisse abhält – Ausnahmen und Feedback hierzu unerwünscht. Wenn wir den Agile Coach nicht als Beruf sehen und nicht verstehen, dass jeder Scrum Master auch ein Agile Coach ist, dann machen wir eine neue Hierarchie auf. Viele Organisationen bezahlen ihre internen Agilen Coaches wesentlich besser als interne Scrum Master!
Und auch diese Ängste kenne ich aus erster Hand und sind mir selbst vertraut:
Unsere Ängste wollen uns vor unangenehmen Erfahrungen schützen. Wir wollen unseren Auftrag machen dürfen und nicht verlieren. Wir wollen so bezahlt werden, wie es sich für uns richtig anfühlt und wir haben alle das psychologische Grundbedürfnis nach Autonomie, im Sinne von Selbstregulation der eigenen Aufgaben. Wenn wir als Agile Coach in die Rolle des Scrum Masters gehen, tragen wir eine große Verantwortung. Wir werden Teil eines operativen Tagesgeschäftes. Wir fokussieren uns auf die Ergebnisse dieses Scrum Teams und wir sind direkt an der Produktentwicklung beteiligt. Gleichzeitig haben wir, da unser Beruf der des Agile Coach ist, auch einen Blick für das, was außerhalb des Teams vor sich geht. Und gerade weil wir so viel Verantwortung innerhalb eines Scrum Teams tragen, ist es um so wichtiger, dass wir jeder Zeit als Agile Coach außerhalb des Teams auftreten dürfen. Das Scrum Team braucht eine starke Vertretung nach außen, was Veränderungsbegleitung betrifft. Es ist wichtig, dass wir Scrum Mastern ihre Ängste nehmen und sie in ihrer Rolle stärken.
In agilen Organisationen tauschen Scrum Master oft nach einiger Zeit ihre Teams, damit blinde Flecken aufgedeckt werden oder Teams mit unterschiedlichen Fähigkeiten begleitet werden. Aus meiner Perspektive wäre eine Öffnung der Rotation für Agile Coaches in der Organisation, die länger keine Scrum Master waren, sehr begrüßenswert. Zum einen machen wir damit sichtbar, dass es sich um ein Missverständnis handelt, wenn wir denken, dass Scrum Master keine Agilen Coaches sind. Zum anderen bauen wir auf beiden Seiten Ängste ab. Scrum Master können ihre Rolle ablegen und ihren Beruf mit all seinen Facetten kennen lernen und Agile Coaches können die Rolle des Scrum Masters aus erster Hand nachfühlen und Erkenntnisse aus dem operativen Umfeld für die weitere Tätigkeit ableiten. Auf diese Weise stärken wir alle Agilen Coaches, die auf der übergeordneten Ebene, als auch jene, die operativ als Scrum Master eingeteilt wurden. Es kommt zu mehr Austausch und zu einer hierarchiefreien Haltung. Das allgemein bessere Verständnis über den Beruf des Agile Coaches baut organisationsübergreifend Ängste ab, denn sobald wir mitbekommen, dass Agile Coaches nicht immer nur privilegierte Menschen sind, die über allem Geschehen stehen, sondern auch durch Rotation das Tagesgeschäft im operativen Bereich kennen, sind wir vermutlich auch eher geneigt, ihnen – auch in der Rolle des Scrum Masters – zuzuhören und Feedback anzunehmen.