Heute begegnete mir im Kund*innengespräch eine neue Typologie von Scrum Master*innen. Vielen von euch ist vermutlich das Reifemodell bekannt, bei dem sich der Scrum Master von einer „Scrum Mum“ (nimmt ein Scrum Team an die Hand) zu einem „Scrum Jedi“ (Organisations-Coach) weiterentwickelt. Doch dieses Modell war nicht gemeint und so widme ich mich in diesem Blogbeitrag dem scheinbar vorhandenen Modell mit dem sogenannten Projekt- und Coach Scrum Master.
Projektarbeit hat einen besonderen Charakterzug: Sie endet. Und somit müssen Manager*innen ihre Ressourcen gut eintakten, was eine besondere Herausforderung in Scrum Projekten darstellt, da Scrum gar nicht gerne mit einem festen Projektende von vornherein plant. Nun sammelt man sich die richtigen Mitarbeiter*innen zusammen und stellt dabei fest, für Scrum haben wir keinen internen Scrum Master. Das ist natürlich ärgerlich, denn so einen internen Scrum Master könnte man schön dazu verpflichten von Anfang bis zum Ende ein Scrum Projekt zu begleiten, was auch gar nicht die schlechteste Idee wäre – würde man ihn nicht innerlich damit zum „Projekt Scrum Master“ degradieren.
Der Projekt Scrum MasterSo ein Projekt Scrum Master – so die Idee – arbeitet von Tag 1 bis zum Ende des Projekts als Scrum Master mit. Achtung, jetzt kommt vielleicht ein Widerspruch: Als „Projekt Scrum Master“ fokussiert er sich auf das Projekt und seinen Erfolg, was in diesem Fall bedeutet, dass er nicht den Schwerpunkt darauf legt, dass Scrum 100% angewendet wurde, die Ereignisse korrekt ablaufen oder gar das Framework ordnungsgemäß intakt bleibt. Viel wichtiger ist die Erreichung der Zielvorgaben, der Deadlines und dass er daran mitgewirkt hat, sein Team zum Projekterfolg zu bringen. Moment, denkt sich der ein oder andere von euch? Lasst uns bitte trotzdem zunächst auf den „Coach Scrum Master“ blicken..
Der „Coach Scrum Master“ kümmert sich im Vergleich zum „Projekt Scrum Master“ nicht um den Erfolg des Projekts, sondern die erfolgreiche Umsetzung des Scrum Frameworks. Sein Schwerpunkt liegt also auf dem Coaching. Mit diesem erreicht er sein Ziel: Die korrekte Ausübung von Scrum. Da das Projekt also eher der Anlass ist, warum es überhaupt ein Scrum Team gibt, aber ansonsten inhaltlich oder grundsätzlich keine Rolle spielt, schaut der „Coach Scrum Master“ lediglich nach, wie konstruktiv die Ereignisse von Scrum gelebt werden, ob die Werte von Scrum sich im Team wiederfinden und ob der Product Owner seine Rolle sinnvoll ausübt und die genutzten Artefakte eine hohe Qualität aufweisen. Moment, denkt ihr erneut, aber lasst uns bitte erst zusammenfassen, was wir gerade gelernt haben.
Für den „Projekt Scrum Master“ zählt der Erfolg des Projekts, weshalb er sich darauf konzentriert, von Anfang bis zum Ende dabei zu sein und sich, zur Not (unabhängig von Scrum), des Projekterfolgs wegen auf notwendige Maßnahmen (welche das sind, weiß ich auch nicht) konzentriert. Als interner Kollege verpflichtet er sich, von A-Z das gesamte Projekt zu begleiten. Als externer Kollege konzentriert er sich darauf, möglichst nichts zu verpassen und loyal bis zur letzten Deadline dabei zu sein.
Der „Coach Scrum Master“ hingegen legt seinen Schwerpunkt auf das Coaching des Scrum Frameworks. Ob es sich jetzt um ein Projekt handelt oder nicht, spielt für ihn keine Rolle. Für ihn zählt die Umsetzung von Scrum, wie seine Rollen, Ereignisse und Artefakte genutzt werden und wie er das Scrum Team dabei unterstützen kann, sich mit Blick auf das Framework zu verbessern. Da er dies sowohl zu Projektbeginn, mittendrin oder am Ende tun kann, spielt der Zeitpunkt für ihn keine Rolle und auch nicht die Dauer des Engagements. Er ist wie Tuxedo Mask von „Sailor Moon“ (siehe Titelbild), der quasi glaubt, in brenzligen Situationen erscheinen zu müssen und dann wieder geht, ohne dass ein konkretes Ergebnis vorliegt – oder vielleicht doch?
Die genannten Typologien von Scrum Mastern sind sicherlich in der heutigen Projektwelt in Nuancen zu beobachten. Wir sollten sie uns allerdings nicht zu eigen machen und auch nicht als Schubladen für Scrum Master verwenden. Als Überspitzung mögen sie nützlich sein, um einen Scrum Master darauf aufmerksam zu machen, dass man sich eine Begleitung von A-Z wünscht oder um auszudrücken, wie wichtig einem der Projekterfolg ist und sich der Scrum Master daher nicht „nur“ aufs Coaching beschränken sollte. Vor allem der letzten Bitte steht jedoch auch nichts im Wege, denn es handelt sich eben um eine gewisse subjektive Erfahrung durch Beobachtung und nicht eine generell existierende Typologie von Scrum Master*innen.
Denn jeder Scrum Master ist Teil seines Scrum Teams und somit immer (!) mitverantwortlich für den Erfolg des Produkts und falls vorhanden, des Projekts.
Der Scrum Master weiß, dass es nicht nur um Scrum als Selbstzweck geht, sondern, dass Scrum zur Produktentwicklung da ist und zum Organisieren von kontinuierlicher Verbesserung eines Teams. Egal, wann ein Scrum Master Teil eines Projekts wird, wird er sich immer nicht nur darauf konzentrieren, die Ereignisse, Rollen und Artefakte im Blick zu haben, sondern auch, ob das Scrum Team zu einem erfolgreichen Ende kommt. Die Annahme, dass sich das Scrum Coaching und der Projekt Fokus widersprechen, gegenseitig im Weg stehen oder etwas anderes bewirken, ist ein großes Missverständnis. Immer wenn wir uns bemühen, das Scrum Framework noch konstruktiver zu gestalten, zahlt dies auf den Projekterfolg und die Produktentwicklung ein. Eureka! Scrum wurde ja dafür entwickelt, dass Produkte und Projekte erfolgreich beendet werden können und nicht, damit wir uns einem Coachingprozess unterwerfen.
Was können wir also tun?Scrum zahlt sich aus, wenn wir das Framework im richtigen Kontext anwenden und dann ernst nehmen. Zur Unterstützung dessen gibt es den Scrum Master. Er kann einschätzen, ob Scrum für die Aufgabe das richtige Framework darstellt, den Rollen ihre Verantwortungen erläutern und die Ereignisse des Frameworks begleiten, damit das Projekt erfolgreich wird.
Es ist wichtig, dass wir verstehen, dass ein Scrum Master tatsächlich nicht von A-Z ein Projekt begleiten muss, aber dabei sein kann. Wenn ihr die Sorge habt, dass ihr das Projekt nicht allein meistern könnt, kommuniziert dies und macht eure Bedenken transparent. Jeder Scrum Master freut sich darüber, wenn er als Teil eines Scrum Teams einen Projekterfolg miterleben kann. Er wird also alles dafür tun, dass Scrum verstanden und korrekt angewendet wird. Lasst ihn gewähren: Denn Scrum basiert auf vielen Jahrzehnten von Erfahrungen mit Projektarbeit und sämtliche Ideen des Scrum Guides wurden etliche Jahre erprobt und getestet. Ist eure Aufgabe also komplex, dann vertraut eurem Scrum Master, dass er oder sie euch den richtigen Weg mit Hilfe von Scrum zeigen wird.
Macht transparent, falls ihr den Eindruck habt, der Fokus liegt gerade zu sehr auf dem Coaching des Scrum Frameworks. Der Scrum Master wird sehr gute Gründe dafür haben, die er euch gerne erläutert und die euer Verständnis von agiler Projektarbeit bereichern werden. Bewahrt und trainiert eure Offenheit.