Es gibt aus meiner Sicht zwei Typen von Langeweile, die ich im heutigen Blogartikel mit euch besprechen möchte. Typ I ist ein klassisches Gefühl, welches wir sehr oft bei Kindern beobachten können, aber auch oft selbst haben, wenn wir gerade nichts mit uns anzufangen wissen. Typ II ist komplexer und beschreibt eher, was passiert, wenn wir nicht in der Lage sind, uns Raum zu verschaffen, um das zu tun, was wir wirklich wollen. Ich teile heute mit euch, was man gegen beide auftretende Typen tun kann.
Wenn wir von Langeweile sprechen, dann erinnere ich mich gern an meine Kindheit zurück. Als Kind hatte ich sehr wenig Verantwortung, weil ich weder jüngere Geschwister hatte, noch mich am Haushalt beteiligen durfte. Ich war auf mich allein gestellt und nachdem meine Schwester ausgezogen war, saß ich dann auch oft am Wochenende im Wohnwagen meiner Eltern in Reinickendorf und wusste nicht so richtig, was ich mit der Zeit anstellen soll. Lesen fand ich doof, meine GameBoy Spiele hatte ich alle schon durch. Der Schwarzweiß-Fernseher hatte schlechten Empfang und die Kinder auf dem Campingplatz waren alle einige Jahre jünger als ich. Taschengeld hatte ich auch keines, da meine Eltern das Konzept nicht wirklich verstanden.
Langeweile des Typ I hat oft etwas mit mangelnden Ressourcen zu tun.
Wenn wir die Dinge um uns herum alle schon kennen, wenn wir einfach nichts entdecken können, was für uns interessant ist und wenn wir „mehr Zeit als Möglichkeiten“ haben, dann wird uns langweilig! Insbesondere, wenn wir allein sind. Vielen Menschen fällt es nämlich schwer, sich von selbst etwas zu überlegen, was für sie interessant sein könnte. Möglicher Weise ist dies sogar ein Link auf den letzten Blogbeitrag zur Armut der Begierde und der fehlenden Fähigkeit des Wollens. Ergänzend denke ich: Primär liegt es bei Typ I wirklich daran, dass die Umgebung wenig Anreize bietet. Es gibt keine Aufträge, keine Interaktionspartner*innen und lauter Dinge, die wir schon in und auswendig kennen.
Was hier gut hilft, ist Reißaus zu nehmen!
Menschen wollen in Interaktion sein. Hier passieren unerwartete Dinge, man möchte sich nützlich fühlen und oft genügt es, wenn andere Menschen einen Wert in Dingen oder Tätigkeiten sehen, auf die wir selbst nie gekommen werden. Sobald wir merken, hey, dass ist ihr wichtig, fühlt es sich auch gar nicht mehr so langweilig an, es zu tun. Im Gegenteil, es macht plötzlich Sinn!
Wer eigene Kinder zu Hause hat, wird diesen Typ vermutlich lange nicht mehr erlebt haben. Er scheint viel damit zu tun zu haben, wie viele Verpflichtungen wir täglich zu meistern haben. Diese haben also auch etwas Gutes! Doch Typ II plagt, so denke ich, eine größere Vielzahl an erwachsenen Menschen.
Oben schrieb ich, dass Typ II etwas damit zu tun hat, wenn wir zu wenig Raum für uns haben. Es geht also darum, dass wir keine Langeweile haben, wenn wir die Chance sehen, unsere Bedürfnisse zu erfüllen. Natürlich sind Typ I und Typ II miteinander verknüpft. Während ich bei Typ I aber eher die äußeren Umstände als schwierig betrachte (fehlende Aufgabe, langweiliger Ort, mangelnde Ressourcen), ist es bei Typ II eigentlich schon fast eher ein fehlendes Verständnis der eigenen Fähigkeiten. Soll heißen, wer gut darin ist, Typ II zu meistern, hat auch eine höhere Chance, sich nicht mit Typ I zu langweilen. Schauen wir uns das der Reihe nach an.
Die Gewohnheit an Regeln bezogen auf unsere Kultur, Religion oder unserer Peer Group ist ein zweischneidiges Schwert. Zwar gibt sie uns Orientierung, wie wir uns in sozialen Kontexten verhalten können oder was wir in unserem Beruf zu tun oder zu lassen haben, schränkt jedoch unsere Kreativität ganz schön ein. Bereits im Kindergarten und später im Schulsystem lernen und schauen wir von der Lehrer*in ab, wie wir uns zu verhalten haben. Welche Aussagen gut ankommen und welche weniger und testen stets die Resonanz der Gruppe, um uns an ihnen auszurichten. Dies mal bewusst, mal unbewusst – auf jeden Fall gibt es nur wenig Reflexion bezogen auf die eigenen Bedürfnisse. Es ist eher wie ein Sandförmchen im Buddelkasten, welches wir erst grob mit Sand füllen und dann immer mehr glatt streichen, bis kein Krümelchen mehr an der vermeintlich falschen Stelle sitzt. In unser Förmchen gepresst oder mit Blick auf den Sand im Förmchen, sieht alles auch ziemlich alternativlos aus. So ein Förmchen könnte eine Rolle im Alltag präsentieren. Als Mann habe ich mich so und so zu kleiden, als Frau habe ich eine Gebärmutter, um irgendwann schwanger zu werden, als Moderatorin habe ich vorne zu stehen und mit lauter Stimme zu sprechen und als Teilnehmer schreibe ich brav mit, was mir vorne diktiert wird. Wir sind oft ziemlich überzeugt davon zu wissen, was wir zu tun oder zu lassen haben und setzen dies dann auch gleich mit unseren Möglichkeiten. „Ich kann hier doch gar nicht anders handeln“. „Ich muss das doch tun.“
Auch wenn es hier viele Ausnahmen gibt, denke ich, dass viele Leute sich selbst keinen zu großen Wert zuschreiben und sich dies in ihrem Verhalten widerspiegelt. Die Natur hat unsere Augen auf andere ausgerichtet und nicht nach innen und somit achten wir vermehrt auf den Raum, den sich andere nehmen, laufen anderen Menschen nach, richten unsere Aktivitäten an anderen aus, schauen ab und lernen auch besser von anderen, als von uns selbst. In vieler Hinsicht macht dies auch Sinn, so lange es z. B. nicht um das Thema Langeweile geht! Wenn uns in Gesellschaft mit anderen langweilig ist, dann haben wir uns selbst vernachlässigt. Wir hören weiter zu, weil wir denken, geduldig sein zu müssen und unsere eigenen Gefühle nicht so wichtig nehmen. Wenn wir uns nicht konzentrieren können, weil wir total hungrig sind, aber trotzdem im Meeting versuchen mitzuarbeiten, dann nehmen wir uns nicht wichtig genug, um nach einer Pause zu fragen. Im Grunde übernehmen wir keine Verantwortung für uns selbst, wenn uns langweilig ist und das tun wir deshalb, weil eine merkwürdige innere Überzeugung davon ausgeht, dass wir und unsere Bedürfnisse nicht entscheidend sind, sondern eher das, was wir sehen, unser Umfeld oder die Situation in der wir uns befinden. Wir kleines unbedeutendes Ding wollen hier doch nicht stören. Es liegt also auch etwas Schamgefühl in diesem Verhalten verborgen.
Ich muss gestehen, wenn ich mich auf Konferenzen langweile und das passiert in der letzten Zeit oft, dann gebe auch ich sehr gern die Verantwortung ab und verteile dann die Schuld bei anderen: Bei den Veranstalter*innen, bei den Teilnehmer*innen, bei den Vortragenden, etc.
Das macht allein schon deshalb keinen Sinn, weil viele Formate ja bereits den Regeln eines Open Spaces folgen und somit jede*r die Chance hat, eigene Themen einzubringen, also selbst die Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig wünschen sich Menschen wie ich oft, dass Gefühle und Bedürfnisse geteilt werden und man schon von Anfang an gemeinsam anders an die Dinge heran geht. Im Grunde ist es trotzdem ein Wechselspiel: Wir ringen stets damit, ob wir selbst handeln oder nicht doch Verantwortung wieder abgeben. Vermutlich hat dies wieder hirnphysiologisch damit zu tun, dass unser Gehirn gerne Energie sparen möchte und deshalb eher die Arbeit outsourcen möchte. Doch wenn wir Langeweile bekämpfen wollen, ist das das Schlechteste, was wir tun können. Überlegen wir also mal, was wir selbst tun könnten.
Tragt die Verantwortung für euch mit stolz. Nehmt nicht alles hin, wie es ist. Euer Leben ist zu kurz und Langeweile kein schöner Zustand. Ich weiß, dass es harte Arbeit ist, dagegen vorzugehen. Es erfordert viel Hirnschmalz und Ausdauer. Wer jedoch seine Muster durchschaut und erst einmal ein ganzes Schlüsselbund von Strategien gegen Langeweile für sich entwickelt, führt ein komplett anderes und bereicherndes Leben. Darum ist es für mich eine Haltungsfrage. Warum nehme ich das überhaupt hin und gehe nicht proaktiv an die Sache heran? Wenn ich lerne zu erkennen, was ich wirklich will und langweilige Situationen auf meine persönlichen Ziele überprüfe, entdecke ich vielleicht leichter einen Rückweg aus der erlebten Entfremdung. Vielleicht arbeite ich bald an einer Unkonferenz gegen Langeweile, lasst es mich wissen, wenn ihr mitmachen wollt!