Wir hatten in unserem Grundlagenmodul „Agile Prinzipien und Werte“ zu unserer Agile Coach Ausbildung am zweiten Tag eine spannende Diskussion darüber, was ein Agiler Coach per Definition sei. Ich möchte heute meine Sicht der Dinge ausformulieren.
Abgeleitet von dem Wort Kutsche und von dem Google Übersetzer als Trainer übersetzt, stiftet der Beruf des Coaches ganz schön viel Verwirrung. Wir lassen daher gerne das Verständnis eines Coaches zeichnen, da Bilder manchmal Worte besser darstellen können.
Ein Coach unterstützt demnach das Erreichen eines Ziels, geht mit Energie, Herz, einem offenen Ohr und Blick fürs Detail vor und versucht durch Fragen die Klient*innen auf neue Ideen und Lösungsansätze zu bringen.
So, wie auch der Begriff Coach ungeschützt ist, verhält es sich auch beim Agile Coach. Es gibt hier kein einheitliches Curriculum, so dass wir weder bezogen auf das „Coaching“, noch auf das „Agile“ Standards haben, an denen sich alle Ausbildungsinstitutionen halten. Wir haben uns bei unserer Ausbildung zum Agile Coach stets daran orientiert, was wir alles innerhalb der letzten zehn Jahre gelernt haben, um als Agile Coach einen guten Job machen zu können. Außerdem haben wir recherchiert, was am Markt in anderen Ausbildungsprogrammen (damals gab es auch nur 3 weitere Mitbewerbende) an Inhalten vorliegt.
Ein großer Erfahrungswert ist jener, dass wir als Agile Coach eine Form der Systemischen Organisationsberatung ausüben – dazu später! Ähnlich wie das Wortpaar Coach und Trainer ist auch das Wortpaar Coaching und Beratung nicht trennscharf. Nun scheint die ursprüngliche Bedeutung darin zu liegen, jemandem einen Rat zu erteilen, wofür sich ebenfalls der Begriff der Konsultation für diese Tätigkeit etabliert hat. Semantisch mischen wir jedoch hier oft eine ganz besondere Sauce zusammen, die sowohl Coaching und Beratung in den einen Topf, Beratung und Consulting aber in einen anderen Topf wirft. Gleichzeitig wird jedoch nie Coaching und Consulting in Verbindung gebracht und auch nicht Training und Consulting, was eigenartig ist, da der Trainingsbegriff gut zur Consultingtätigkeit passen würde. Trainer werden oft als Ausbilder bezeichnet, da es eine Wissensübergabe ähnlich wie bei dem Consultant gibt. Fassen wir das mal zusammen und machen eine kleine Übersicht.
Allgemeine Semantik
Tiefensemantik
Wer hier kein Sprachwissenschaftler ist, könnte geneigt sein, einfach aufzugeben und den ganzen Sprachmatsch in einem Rutsch runterzuschlucken. Ich fürchte fast, dies ist schon des öfteren passiert, denn dies würde die ein oder andere Erklärung für das Kund*innenverhalten liefern, welches mir manchmal begegnet. Mir fällt es hier selbst schwer, ich möchte jedoch selbstverständlich meine eigene Profession ernst nehmen! Auch deswegen habe ich damals eine Ausbildung zum Systemischen Berater gemacht.
Der Begriff der Systemischen Beratung, der übrigens ebenfalls nicht geschützt ist, hat sich als Oberbegriff diverser Formate der Begleitung von Menschen in verschiedenen Kontexten durchgesetzt. Um die Verwirrung erneut zu steigern: Systemische Beratung und Systemisches Coaching lassen sich begrifflich nun absolut gar nicht auseinander halten. Systemische Beratung als Konzeptbegriff hat eine längere Tradition und sich daher stärker verbreitet. Das Systemische Coaching wird oft als Begriff lieber zu Marketingzwecken im Business Kontext verwendet – vermutlich auch, um dem Beratungsbegriff aus dem Weg zu gehen, der aus Systemischer Sicht auch so gar keinen Sinn macht, denn hier geht es um Beratung ohne Ratschlag. Allein das Wort „Systemische“ im Konzept der Systemischen Beratung verändere hier wohl die Richtung der Lösungsfindung hin zur Klientin. Indem wir von Systemischem Coaching sprechen unterstreichen wir jedoch auch mit der Verwendung von Coaching statt Beratung, dass es wirklich um die Entwicklung eigener Lösungen geht, die begleitet werden soll. Kurz gesagt: Wenn wir von Systemischer Beratung sprechen, meinen wir eigentlich Systemisches Coaching, wodurch der Trend entstanden ist, immer häufiger von Systemischem Coaching zu sprechen, weil es die Sache besser auf den Punkt bringt – zumindest wenn man nicht länger darüber nachdenkt 😉 !
Ich habe oben bereits erwähnt, dass Agile Coaching eine Form der Systemischen Organisationsberatung ist. Will ich also Organisationen dabei begleiten, sich zu verändern, wünschen sich diese oft eine Form von Consulting, weil sie nichts falsch machen wollen. Tatsächlich hat es sich als sinnvolle Praxis herausgestellt im ersten Gespräch, der Auftragsklärung (als Agile Coach!) eine verdeckte Systemische Beratung, aka Systemisches Coaching auszuführen. Wir führen also einen Dialog mit den Auftraggebenden, um herauszufinden, was aus ihrer Sicht das bestmögliche Ergebnis und eine Herangehensweise für die bestehende Aufgabe (Lösungsidee) sein könnte. Aufbauend darauf wechsle ich gerne zur Rolle des Consultants und gebe einen Tipp ab, unter Vorbehalt, wie ich die Lösungsidee begleiten könnte. Die Kundin entscheidet dann, ob ihr mein Vorschlag gefällt und wir loslegen können. Im Grunde arbeite ich von diesem Tag an immer wieder auf diese Art und Weise mit allen Betroffenen zusammen. Bei jedem Team, jeder Abteilung, jedem Individuum gibt es mindestens ein initiales, systemisches Gespräch, denn jede Organisation ist ein System bestehend aus vielen Subsystemen. Das heißt als Agile Coach versuche ich Menschen täglich dabei zu unterstützen, in ihrem System Entlastung zu finden, die eignen Ressourcen im System zu aktivieren und eine konstruktive Sicht auf gemachte Erfahrungen im System zu generieren.
Ein agiler Coach ist per Definition in der agilen Szene jemand, der Systemisches Coaching beherrscht und sowohl als Berater*in (aka Consultant), Trainer*in (aka Ausbilder*in) und Moderator*in innerhalb einer Organisation tätig wird. Es ist also eine Figur, die ganz verschiedene Rollen, Fähigkeiten und Fachwissen (über agile Vorgehensweisen Denkarten) vereint. Sich über die eigenen Grenzen, Stärken und Rollen bewusst zu sein und dies im ersten Auftragsgespräch sichtbar zu machen, ist einer der wichtigsten Wesenszüge des Agilen Coaches. Daher findet sich auch in jeder Agilen Coach Ausbildung in Europa – Stand heute, ein größerer Anteil Systemischen Coachings. In unserem Modul „Agiles Business Coaching“ bringen wir euch alle relevanten Fähigkeiten bei, um als Systemischer Coach im agilen Kontext auftreten zu können. Zurecht kann darüber gestritten werden, ob ein Agiler Coach auch als Systemischer Coach oder als Unterkategorie Systemischen Coachings betrachtet werden kann. Dafür spricht, dass die Systemische Haltung über Beziehungs-, Problem-, Konstrukt,- Lösungs,- und Veränderungsneutralität übereinstimmt. Auch die Definition Systemischer Beratung als Oberbegriff für verschiedene Beratungsformate (aka Coachingformate) lässt eine Deutung des Agile Coachings als Unterkategorie zu. Für die Falsifizierung bedarf es eine Ausbildung zum Agile Coach, die ohne Systemische Elemente und Techniken auskommt, wobei hier fragwürdig wäre, wie das tägliche Doing eines Agilen Coaches ohne Systemische Wirkelemente auskommen kann.