In unserem letzten Meetup, dem Agile Co:learning habe ich gefragt, über welches Thema ich als nächstes im Blog schreiben soll. Und prompt antwortete Ben aus den Niederlanden, „wie man als Scrum Master verschiedene Scrum Teams betreut“. Danke Ben für diesen Impuls, denn das schauen wir uns jetzt heute an!
Bevor wir einsteigen ganz kurz der Hinweis, dass es für mich keinen Unterschied macht, ob ihr euch Agile Coach oder Scrum Master oder wie auch immer nennt. Die Rollen sind aus meiner Sicht nicht trennscharf und ich habe hierzu bereits einen Blogartikel geschrieben, der sich mit der Rollenklärung auseinander setzt. Der folgende Artikel basiert also auf diesen Annahmen. Ebenso könnt ihr hier mein Verständnis nachlesen, was einen guten Scrum Master ausmacht.
Ihr wisst alle, dass Scrum nicht immer in seiner reinen Form (Scrum by the book) umgesetzt wird. Warum das so ist, habe ich übrigens noch nicht geschrieben 😉 – das soll heute auch nicht das Thema sein. Tatsache ist, dass Organisationen häufig von dem Kernframework abweichen oder eine andere Variante nehmen, da sie skalieren müssen, wie z. B. LeSS, SAFe, Nexus oder Scrum@Scale. Und dann passen sie auch diese Rahmenwerke an 😉 ! Soll heißen, es ist essentiell, dass ihr bei der Arbeit mit scrumartigen Teams oder allgemein in der Arbeit mit Teams und ihrer parallelen Begleitung für euch eigene Vorgehensweisen und eine eigene Identität entwickeln könnt, um diesem volatilen und stets anderen Anforderungen gerecht werden zu können. Ich schreibe heute also einen kleinen Leitfaden dazu, wie ihr euch grundsätzlich verhalten könnt in einer Rolle, die parallel Teams auf ihrer Lernreise zur kontinuierlichen Verbesserung begleitet.
Wenn wir Menschen in Veränderungs- oder Verbesserungsprozessen begleiten wollen, ist es wichtig, dass wir uns klar machen, dass dies eine Herausforderung ist. Zum einen für die Menschen, weil sie Neues lernen und hin und wieder ihre Komfortzone dafür verlassen und zum anderen für euch, weil ihr didaktisch, methodisch darüber nachdenkt, wie ihr diese Menschen betreut und ihr einen konstruktiven Umgang mit Widerständen oder Lernblockaden kultivieren dürft. Dies ist wichtig, da ihr euch vor negativen Gefühlen, Abwehrreaktionen und anderen menschlichen Verhaltensweisen hin und wieder schützen müsst, um genug Energie für eure Arbeit aufrecht zu erhalten. Ich schöpfe meine Erfahrungen übrigens aus meiner Zeit als Lehrer an Grundschulen und Gymnasien an denen ich einige Jahre arbeiten musste, um mein Studium zu finanzieren. Auch hier war ich mit verschiedenen und größeren Lerngruppen konfrontiert, die sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Herausforderungen hatten. Zum Glück sind scrumartige Teams in der Regel deutlich kleiner und besser organisiert. Die Learnings, die ich übertragen und erfolgreich anwenden konnte, teile ich heute mit euch. Und eines davon ist, dass ihr eine stabile Integrität braucht. Ihr braucht ein klares, selbstdefiniertes Rollenbild, welches ihr transparent machen könnt. Zum Beispiel, dass ihr nicht der Therapeut für die Organisation sein möchtet oder nicht die Sekretärin für ein Team. Noch besser, ihr drückt nicht aus, was ihr nicht sein wollt, sondern findet eine positive Formulierung: Ich will als Experte für den Prozess unterstützen oder ich will für jeden einzelnen ein Personal Coach sein. Ihr seid frei in der Definition eurer Rolle. Wichtig ist natürlich, dass ihr sie offen mit der Auftraggeberin besprecht. Diese könnte ja Bedenken oder andere Ziele haben. Ihr braucht am Ende ein gemeinsames Verständnis auf dass ihr euch einigen könnt. Das stärkt euer Mandat und eure Integrität, weil ihr dann immer um den Rückhalt der Auftraggeberin wisst, was eure Rolle betrifft. Natürlich ist auch das nicht immer einfach. Achtet zumindest darauf, dass die Vorstellungen nicht zu weit auseinander gehen. Und tastet ggf. mit ein paar Edgecases ab, was von euch erwartet wird. Wenn diese dann nicht eurer Definition widersprechen, go for it! Es ist wichtiger, dass ihr euch zu 100% mit eurer Identität wohl fühlt, als dass die Auftraggeberin sie zu 100% verstanden hat. Alles weitere ist learning by doing von beiden Seiten aus. Auch eure Identität könnt ihr mit inspect und adapt regelmäßig verbessern.
Das hängt natürlich von deinen Fähigkeiten ab. Grundsätzlich rate ich davon ab, mehr als 30 Menschen in der Woche betreuen zu müssen. Ihr könnt deutlich mehr Menschen betreuen, wenn ihr erfahrener seid und die Betreuung über mehrere Wochen verteilen könnt. Aber mehr als 30 Menschen in einer Woche sind eine Herausforderung! Und das entspricht erstmal ca. 3-5 Teams, je nach Teamgröße. Ihr seht jedoch anhand der Aufmachung, dass nicht die Anzahl der Teams, sondern ihrer Individuen entscheidend ist. Ich begründe mich hier damit, dass wir regelmäßig Einzelgespräche führen wollen. Stellt euch vor, ihr sprecht mit jedem Teammitglied 30 Minuten jede Woche. Dann habt ihr bereits 15 Stunden verbraten. Den meisten Scrum Master-artigen bleiben dann noch ca. 20 Stunden für die Ereignisse, was je nach Sprintfrequenz happig werden kann. Achtet also darauf, dass ihr hier eine Balance findet zwischen Anzahl von Teams, Sprintfrequenz (Vorsicht bei Sprints von einer Woche!) und der Gesamtzahl an zu betreuenden Individuen. Rechnet auf jeden Fall auch das Management, Führungskräfte und Stakeholder*innen mit ein. Denkt an eure Identität und setz euch ein Ziel. Was wollt ihr für jeden dieser Menschen eigentlich allgemein als Service anbieten? Bis zu wie vielen Menschen könnt ihr diesem Anspruch gerecht werden?
Kommen wir nun zum Leitfaden, wie wir die Teambetreuung organisieren. Zunächst habt ihr die Aufgabe zu klären, welche der Scrum Ereignisse stattfinden. Hier zählen natürlich auch weitere Meetings dazu, die je nach Skalierung eingesetzt werden. Visualisiert alle Ereignisse an einem Whiteboard und zwar für alle Teams. Schreibt nun dazu, wann in der Woche oder in welcher Frequenz die Ereignisse stattfinden. Ihr braucht also die Uhrzeiten aller Dailys und müsst wissen, in welchen Wochen die Retrospektiven stattfinden.
Seid bei allen Dailys dabei und setzt am Ende einen Impuls. Laut Scrum Guide ist es nicht erforderlich, dass ihr bei den Dailys dabei sein müsst. Ihr sollt lediglich dafür sorgen, dass sie stattfinden. Allerdings ist meine Erfahrung, dass Dailys für euch ultranützlich sind, wenn ihr dabei seid und wenn ihr am Ende etwas mit dem jeweiligen Team teilt. Ihr dürft nicht vergessen, dass die Teammitglieder untereinander an ihrem Produkt arbeiten. Als Scrum Masterartige*r seid ihr erstmal nur ein*e abstrakte*r Kolleg*in! D. h. wir brauchen eine pädagogische Brücke, einen Ansatzpunkt der Orientierung, damit andere zu euch eine Beziehung aufbauen und euch wahrnehmen und ein Gefühl für euch bekommen können. Sonst werden sie euch nicht in Retrospektiven vertrauen und auch nirgends mit euch an Verbesserungen arbeiten. Außerdem bekommt ihr durch die Anwesenheit in Dailys wertvolle Informationen, wie die Arbeit läuft. Was ihr also auch immer tut: Seid auf jeden Fall dabei, organisiert die Dailys mehrerer Team so, dass es für euch möglich ist (bleibt hier hartnäckig) und dann sendet mindestens eine Message am Ende des Ereignis, damit die Menschen etwas von euch zu sehen bekommen. Dies kann eine Frage sein, eine bitte um ein Einzelgespräch, ein Feedback zum Daily, ein Feedback zum Sprint oder eine andere clevere Verständnisfrage von euch.
Das ist ein so wichtiges Thema, dass ich ihm eine eigene Überschrift widme. Egal ob ihr mehrere scrumartige Teams betreut oder nur eines oder wo ihr auch immer an was arbeitet: Arbeitet nie ohne Retrospektiven. Und nein, das heißt nicht, dass ihr alle Retrospektiven selbst moderieren müsst. Dies kann Sinn machen, sogar sehr viel, aber der entscheidende Punkt ist ein anderer: Retrospektiven müssen stattfinden! Und es sollte euer Anliegen sein, dafür zu sorgen und immer dabei zu sein! Benjamin und ich gehen soweit, dass wir ohne die Aussicht auf Retrospektiven die Arbeit niederlegen oder den Auftrag gar nicht mehr annehmen. Dieses Ereignis ist ganz unabhängig von Scrum für jedes Veränderungs- oder Verbesserungsvorhaben essentiell. Wenn ihr mehrere Scrum Teams begleitet legt ihr also die Retrospektiven so, dass ihr an allen teilnehmen könnt. Nutz sie als Anker. Bereitet sie vor. Sprecht mit Teammitgliedern vor und nach der Retro, um Stimmungen und Informationen zu sammeln und dann platziert wichtige Themen in der Retro, denn ihr seid selbst Teil des Teams und des Systems und dürft das. Wenn ihr merkt, dass euch die Moderation auf Dauer von mehreren Teams zu viel wird, versucht einzelne Teammitglieder zu motivieren, selbst einmal die Retrospektive zu moderieren. Bietet auch gern eine gemeinsame Vorbereitung an oder ein Feedbackgespräch danach! Die Hauptsache bleibt, dass ihr keine Retrospektive verpasst, denn hier könnt ihr den Lernweg gemeinsam abstecken, Ziele evaluieren oder Ansprüche setzen.
Jeder Tag ist anders und doch gleich. Setzt euch Routinen, die ihr an einem Board allein reflektieren könnt. Jede*r Scrum Master*in braucht also ein eigenes Whiteboard Hier könnt ihr Hindernisse, Herausforderungen, Gedanken und andere Informationen teilen oder für euch arrangieren und als Backlog pflegen. Ihr braucht also sowas wie Miro oder ein physisches Whiteboard. Macht euch einen Plan, wann ihr welche Aktivitäten durchführt. Es wird wiederkehrende Dinge geben, die gut planbar sind. Führt z. B. mit jedem Teammitglied regelmäßig Einzelgespräche über die persönlichen Ziele und Erfahrungen im Scrum Team. Sorgt dafür, dass ihr sowas wie einen Stundenplan habt, der euch Orientierung gibt.
Wann immer euch eine Idee kommt, schreibt die Idee auf ein Post-It oder digitales Sticky. Wenn ihr das nicht tut, lauft ihr immer Gefahr, dass dieser gute Gedanke wieder verschwindet. Ich weiß, dass viele Menschen sagen, wenn es wichtig ist, fällt es mir wieder ein, aber ich sage euch: Wenn ihr mit einem hohen Anspruch mit 30 Menschen in der Woche arbeitet, dann werdet ihr Dinge vergessen und werden auch wichtige Dinge unter den Tisch fallen, wenn ihr sie nicht aufschreibt. Und meiner Erfahrung nach helfen hier leider Notizbücher eher schlecht als Recht. Haut also alles auf bunte Zettel. Diese lassen sich später notfalls als Aufgabe umwandeln. Das wichtige ist, dass eine Sichtbarkeit für euch entsteht.
Wendet diese Regel auch für andere Menschen an und sorgt dafür, dass Arbeit grundsätzlich von all euren Teams sichtbar gemacht wird und ihr sie immerzu anhaltet, für Aufgaben und wichtige Gedanken, ein Post-It zu schreiben.
Die Betreuung von Scrumartigen Teams erfordert, dass ihr eure Identität sichtbar macht und Kontakt und Beziehung zu jedem eurer Teams regelmäßig aufbaut. Setzt euch von Zeit zu Zeit zu jeden Team und beobachtet das aktuelle Geschehen. Seid jeden Tag bei allen Teams, selbst wenn es nur für die Ereignisse ist. Noch besser: Kommt auf jeden Fall auch außerhalb der Ereignisse dann vorbei, wenn niemand mit euch rechnet und spürt die Stimmung. Es ist wichtig, dass ihr die Menschen im Blick behaltet und das bedeutet auch für ihre Alltagsschwierigkeiten eine Antenne zu haben. Die Teams werden positiv überrascht sein, wenn ihr jenseits von Scrum für sie da seid. Und das passt auch gut zu einer weiteren wichtigen Erfahrung von mir: Zeigt Interesse an den Individuen als Menschen und auch an ihrer Arbeit: Eine Hauptagenda für euch ist, Vertrauen aufzubauen. Je mehr euch die Menschen in der Organisation vertrauen, desto eher werden sie mit euch kniffelige Probleme und Hindernisse teilen, die für das Veränderungsvorhaben relevant sind. Nur dann werdet ihr wirklich mit ihnen an ihrer Haltung und ihrem Mindset arbeiten können. Eure Aufmerksamkeit schafft Vertrauen, dass ihr sie wirklich begleiten wollt, egal ob in guten oder schlechten Zeiten.
Ich hoffe, ich konnte euch einige wichtige Aspekte aufzeigen, die euch bei der Arbeit mit mehreren parallelen Teams helfen können. Wenn du mehr davon willst. Buche meine persönliche Sprechstunde. Wir bieten Supervision für Scrum Master*innen, Agile Coaches und weitere Rollen an.