Dieser Blogartikel wird vermutlich ein Mehrteiler, denn ich merke oft beim Schreiben, dass bei komplexen Themen immer wieder neue Aspekte auch im Nachgang auftauchen, die zu diskutieren sind. Heute soll es um die Theorien von Richard M. Ryan, Edward L. Deci sowie Daniel Pink gehen. Erstere habe ich gelesen, letzteren bisher nur überflogen. Ich möchte die Autoren gegenüberstellen, um das Thema Motivation besser verstehen zu können.
Wir kennen die Arbeiten von Ryan und Deci auch unter dem englischen Konzept der Selfdetermination Theorie (kurz SDT). Im Rahmen des Agile Maturity Groth Models hatten wir diese Theorie bereits erklärend herangezogen. Das im Namen enthaltene Konzept der Selbstbestimmung lässt bereits erahnen, dass in dieser Theorie Motivation vor allem aus dem Grad der Autonomie geschöpft wird. Die Theorie beschreibt hier einen Zusammenhang mit den drei Grundbedürfnissen von Menschen nach Sozialer Eingebundenheit, Kompetenz und eben Autonomie im Sinne von Selbstregulation. Wir wollen also nicht unabhängig sein, sondern beispielsweise unsere Arbeit selbst managen. Denn wir schätzen Teil einer Gruppe zu sein: Der soziale Zusammenhang ist ein wichtiges Bedürfnis, ebenso wie der Wunsch zu spüren, dass man etwas dazulernt und die eigene Arbeit gelingt.
Menschen sind offene Systeme. Sie sind von Natur aus empfangsbereit und auf der Suche nach Impulsen. Die SDT untersucht daher die Kontrollüberzeugung von Menschen (Ursachen des Erfolgs oder Misserfolgs des eigenen Verhaltens), extrinsische und intrinsische Motivationsziele (beispielsweise das Streben nach Anerkennung von anderen im Gegensatz zum Streben nach persönlicher Entwicklung) sowie die Wirkung von extrinsischer und intrinsischer Motivation. Extrinsische Motivation ist uns weitreichend aus unserem Arbeitssystem bekannt. Auf ganz unterschiedliche Weise werden wir von außen stimuliert, um für die Arbeit motiviert zu sein. Interessant dabei sind die Erkenntnisse darüber, dass die Unterschiedlichkeit der Steuerung mit Blick auf An- und Abwesenheit von Kontrolle einen beachtlichen Grad von autonomer Motivation zerschlagen aber auch erzeugen kann, die als die nachhaltige und innovationsfördernde Form von Motivation gilt.
Im Allgemeinen erleben wir oft in unserem Alltag, dass versucht wird, Menschen durch kontrollierte Maßnahmen zu motivieren. Diese Art der Steuerung läuft über Methoden von Belohnungen (Incentives) bis zu Strafen (Überstunden). Auch Verführung, Zwang und äußerer Druck werden laut SDT hier hinzugezählt. Diese externe Motivation ist extrinsisch: Sie kommt nicht aus uns selbst. Vielleicht ist sie in gewisser Weise sogar entfremdend. Ich nehme Menschen, die extrinsisch motiviert wurden, meist als halbherzig oder unvollständig wahr. Sie handeln nicht authentisch, denn ihrer Handlung liegt weder Überzeugung noch Verständnis inne.
Wie der Name vermuten lässt, arbeitet die Introjektion damit, dass bestimmte Ansichten, Werte und Denkweisen in Menschen eingepflanzt werden können. Für mich ist dies eine Form von Manipulation, denn hier werden Menschen mit Hilfe ihrer Scham- und Schuldgefühle sowie mit Angstmechanismen zu einem bestimmten Verhalten animiert. Dies lässt sich in der Organisationskultur beobachten und wird manchmal begleitet durch Mobbing oder paternalistische Führungsweisen. Als Reaktion darauf verstärken Menschen, bei denen introjizierte Motivation vorliegt, ihr Selbstwertgefühl und zeigen einen gewissen Stolz.
In meiner eigenen Coaching-Blase ist Motivation, die durch Ziele oder Maßnahmen, die ein Mitarbeitender selbst als Individuum wichtig oder wertvoll empfindet, besonders populär. In der SDT identifizieren sich Menschen hier mit einer im Raum stehenden Motivation. Vielleicht kommt diese von einer Führungskraft oder wurde innerhalb der Organisation (mit viel Fleißarbeit) gemeinsam entwickelt. Die hier stattfindende Identifikation findet autonom statt und ist daher für alle Seiten begrüßenswert. Die Organisation bindet ihre Mitarbeitenden an sich, während die Mitarbeitenden gleichzeitig ihre Grundbedürfnisse erfüllen. Obwohl wir also in diesem Beispiel von einem extrinsischen Mechanismus gestartet sind, besteht durch die Art und Weise der Herangehensweise die Möglichkeit eine autonome Motivation auszuprägen.
Nur wenn wir einer Aktivität nachgehen, die in unserem eigenen Interesse liegt UND wir dabei Freude empfinden, sind wir intrinsisch motiviert. Unser Verhalten und unsere Tätigkeit wird zu einem Teil von uns. Die Qualität der Motivation und Autonomie ist essentiell größer, da wir selbst aktiv geworden sind, selbst gehandelt, selbst ausgewählt und selbst ausprobiert haben. Diese Form von Motivation und Aktivität scheint weitreichende Konsequenzen für unsere Psychologie zu haben. Wir werden in unserem Tun kreativer, lösungsorientierter und erkennbar seltener krank. In der Struktur eines Arbeitsystems gedacht finden sich Parallelen der von Frithjof Bergmann oft zitierten New Work wieder.
Mit Blick auf die Motivationstypen wird klar, dass wir sehr differenziert mit dem Thema Motivation umgehen können. Im Kontext der bisherigen Organisationskulturen wäre es eine Herausforderung gänzlich auf intrinsische Motivation zu setzen. Der Charme, der hier innewohnt, liegt darin, dass wir uns ein gänzlich neues Arbeitssystem erdenken könnten, einem, was den New Work Begriff von Bergmann verdient hat. Im Bereich von Selbstständigkeit und im Bereich des Privaten können wir jedoch bereits üben und beobachten, welches Potential in der natürlichen autonomen Motivation für die Welt der Angestellten verborgen liegt.
Bis wir eine neue Idee haben, wir wir unser Arbeitssystem verändern können, sollten wir uns darin ebenfalls üben, los zu lassen und Kontrollmechanismen zu reduzieren. Je weniger kontrolliert und eingreifend wir das Thema Motivation angehen, je mehr Mitgestaltung und Freiraum wir anbieten, desto eher können wir auf die Indentifikation mit Organisation und Unternehmenszielen hoffen. Dabei kann es sein, dass unsere Strategie durchaus zunächst auf externe Regulation setzt, indem wir Menschen in neuen Methoden Schulen oder sie dazu bewegen, über den Tellerrand schauen zu müssen oder sie aus ihren alten Rollen entfernen. Auch Geld könnte ein Anreiz sein, wenn wir es für neue Projekte und neue Strukturen zur Verfügung stellen. Ab diesem Zeitpunkt ist es jedoch wichtig, die Abnahme von Kontrollmechanismen zu begleiten und das Loslassen bewusst und transparent durchzuführen, so dass die Menschen nicht mit Furcht zurückbleiben, sondern den Raum als Chance wahrnehmen können. Und dann braucht es Geduld, die Dinge wachsen zu lassen. Die SDT warnt uns davor, dass wir durch erneute externe Regulation mit Prestige oder Strafe die gewonnene autonome Motivation korrumpieren könnten.
In der Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden gibt es einige Handlungsempfehlungen, die als erste Schritte der Unterstützung wahrgenommen werden können, um die Ausprägung von autonomer Motivation zu begünstigen:
Auch Daniel Pinks Erkenntnisse beruhen auf verschiedenen Forschungsergebnissen. Ebenso wie die SDT sieht Pink die psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie und Kompetenz (hier: Meisterschaft) als wesentlichen Baustein seiner Motivationstheorie. Während Ryan und Deci als dritten Bereich die soziale Eingebundenheit als Grundbedürfnis beforscht haben, konzentriert sich Pink direkt auf den Begriff Purpose.
Er betont, dass die Mitarbeitenden vor allem dann zufrieden sind, wenn sie eine Wichtigkeit und eine Bedeutung in ihren Aktivitäten oder die der Firma erkennen können. Wie oben erwähnt, braucht es einen weiteren Blogbeitrag, um diesen Vergleich zu vervollständigen. Aktuell sieht es für mich so aus, dass die SDT identifiziert, dass so lange wir uns für eine Tätigkeit entscheiden können und dabei Freude empfinden, gewährleistet ist, dass wir motiviert sind, während Pinks Ansatz zu erklären versucht, dass diese empfundene Freude etwas damit zu tun hat, dass wir eine Wichtigkeit und einen Sinn erkennen können. Möglicher Weise ergänzen sich beide Theorien gegenseitig. Für mich ist die Frage offen, was Menschen dazu bewegt, einen Sinn oder eine Wichtigkeit zu entdecken. Dies muss etwas mit ihrer Persönlichkeit und Sozialisation zu tun haben und ich wäre dankbar für Literaturhinweise in diese Richtung.
Mit den Worten sinngemäß von Ed Deci: „Frage dich nicht, wie du andere motivieren kannst, sondern, wie du einen Raum gestalten kannst, in dem es anderen leichter fällt, sich zu motivieren.“
Wir können anhaltende, gesunde und innovative Motivation nicht coachen, aber wir können dafür sensibilisieren, wie Organisationen Räume für autonome Motivation erweitern und vergrößern können, in denen kreative und konstruktive Zusammenarbeit vermehrt stattfinden kann.