Exakt diese Frage kam neulich bei der Agilen Sprechstunde online auf, so dass es Sinn für mich macht, dieses Grundlagenthema heute als Blogbeitrag mit euch zu vertiefen. Wir schauen sowohl auf fachspezifische Fähigkeiten als auch unterstützende Skills.
Was ist Scrum?
Scrum ist ein Produkt- und Lernentwicklungs-Framework für echte Teams mit einem Ziel. Scrum zählt zur agilen Arbeitswelt und arbeitet mit Feedbackzyklen und dem Inspect & Adapt Prinzip (vgl. PDCA-Zyklus). Nach Scrum arbeiten Teams, die komplexe Aufgabenstellungen lösen wollen und/oder sich in komplexen Umgebungen bewegen. Komplex heißt hier, dass ich nicht vorhersehen (oder auswendig lernen) kann, wie sich bestimmte Variablen im Laufe der Zeit verhalten und in sofern es mehrere Lösungswege zum Ziel gibt. Der Schlüssel zum Erfolg ist eine Haltung, die vor allem Transparenz in den Vordergrund stellt, so dass überhaupt eine regelmäßige Überprüfung in jederlei Hinsicht regelmäßig stattfinden und der Weg zum Ziel kontinuierlich und konstruktiv angepasst werden kann.
Was ist ein*e Scrum Master*in?
Die Scrum Masterin oder der Scrum Master ist eine im Scrum Guide (dem Regelwerk von Scrum) beschriebene feste Rolle innerhalb eines Scrum Teams, die von exakt einem Menschen ausgeübt wird. Hauptaufgabe des Scrum Masters ist das Verständnis von Scrum und seine Umsetzung innerhalb sowie außerhalb des Scrum Teams zu fördern und zu begleiten. Dies machen Scrum Master*innen, indem sie konkret auf die Zusammenarbeit innerhalb der gesamten Organisation generell und speziell innerhalb des Scrum Teams mit Bezug auf wertschöpfende Verhaltensweisen achten und diese ggf. erläutern, um kontraproduktive Handlungen sichtbar zu machen.
Aufgaben eines Scrum Masters
Daraus ergeben sich folgende Aufgaben, die ein*e Scrum Master*in zu bewältigen hat:
- Regelmäßige Gespräche und Vernetzung mit Kolleg*innen, um Bedarfe bezüglich Scrum Schulungen, etc. identifizieren zu können.
- Die Durchführung von Scrum Trainings oder Informationsveranstaltungen sowie die Supervision von laufenden Scrum Teams.
- Die Hospitation von verschiedenen Ereignissen mit aktivem Feedback bezogen auf wertschöpfende Verhaltensweisen.
- Das Durchführen von Einzelgesprächen mit allen betroffenen des Scrum Frameworks.
- Ein direkter und unterstützender Austausch über Priorisierungstechniken und die Verwaltung des Product Backlogs mit dem Product Owner des Scrum Teams, in dem die Scrum Masterin aktiv ist.
- Die Durchführung von Retrospektiven sowie die Moderation von anderen Ereignissen auf Anfrage.
- Bei Bedarf und Anfrage Rede und Antwort zum Zweck eines Scrum Ereignisses und Scrum selbst zu erläutern.
Welche Fähigkeiten sollte ein*e Scrum Master*in mitbringen?
Mit Blick auf die Aufgabenliste könnt ihr selbst identifizieren, welche Fähigkeiten für euch persönlich nützlich sind, wenn ihr eine Scrum Master Position besetzen möchtet. Ich unterscheide hier zwischen obligatorischen und hilfreichen Skills.
Obligatorische Fähigkeiten eines Scrum Masters
Obligatorisch heißt hier, dass wenn mir eine Fähigkeit aus dieser Liste fehlt, ich in bestimmten Situationen meiner Rolle als Scrum Master nicht gerecht werden kann.
- Das Wissen um die Inhalte des Scrum Guides: Ohne Kenntnis und Wissen darüber, was uns der Scrum Guide an die Hand gibt oder wo Freiheiten bestehen, können wir weder unsere eigene Rolle verstehen, noch als Scrum Master wirksam werden.
- Dialoge initiieren können: Scrum Master*innen müssen in der Lage sein, Gespräche zu beginnen und im Dialog führen zu können. Dialog heißt, dass beide Parteien Informationen austauschen und durch die Art und Weise der Kommunikation auch verarbeiten können.
- Aktives Zuhören: Scrum Master*innen brauchen die Fähigkeit aktiv zuhören zu können, damit sie situativ und empathisch auf einzelne Menschen oder Teams reagieren sowie Schwierigkeiten und Abweichungen bezüglich des Scrum Frameworks identifizieren können.
- Didaktische Skills: Als Scrum Master bereiten wir Übungen oder theoretische Inhalte auf, um sie anderen zu erklären und nachvollziehbar zu machen. Dies gelingt uns nur, wenn wir verstehen, wie Menschen gut lernen können. Insbesondere bei längeren Trainings brauchen diese eine klare Struktur und einen roten Faden, damit die Formulierung und Erreichung von Lernzielen möglich wird.
- Konstruktives Feedback annehmen und geben können: Als Scrum Master*in bekommt ihr regelmäßig Feedback zu eurer Tätigkeit, da ihr Teil eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses seid. Es ist daher wichtig, dass ihr Feedback für euch persönlich einordnen und nutzen könnt. Ebenso wichtig, ist es für euch, regelmäßig eurer Organisation, ihren Individuen und Teams Feedback zu der Durchführung von Scrum und der Zusammenarbeit auf eine Weise zu geben, die das Lernen unterstützt und das Verbesserungspotential ausschöpft.
- Wissen um wertschöpfendes Verhalten: Scrum Master*innen wissen, wie Menschen produktiv zusammenarbeiten. Sie brauchen Kenntnisse darüber, welche Verhaltensweisen produktiv sind und welche nicht, um gezieltes Feedback geben oder konstruktive Vorschläge einbringen zu können.
- Kenntnisse zu Priorisierungstechniken: Scrum Mastern sollten ein Grundverständnis zu den Themen Zeitmanagement, Fokus und Priorisierung mitbringen, um Product Owner trainieren sowie das Entwicklungsteam dafür sensibilisieren zu können.
- Methodisches Verständnis: Der Weg ist das Ziel! Scrum Master sollten einige Priorisierungstechniken sowie Methoden für Retrospektiven kennen, damit sie hier einen aktiven und partizipativen Rahmen bei Bedarf herstellen können.
- Moderationsfähigkeiten: Scrum Master sollten sich damit auseinander setzen, was eine gute Moderator*in ausmacht, um verschiedene Ereignisse moderieren und anderen Mitgliedern des Scrum Teams Moderationsfähigkeiten beibringen zu können.
- Identifikation mit Servant Leadership: Im Scrum Guide ist der Scrum Master als Servant Leader definiert. Wir brauchen also als Scrum Master ein Führungsverständnis, welches auf Hilfe und Förderung ausgelegt ist.
Hilfreiche Fähigkeiten eines Scrum Masters
Hilfreich bedeutet, dass das Fehlen dieser Fähigkeiten uns als Scrum Master zwar nicht unglücklich macht, wir und unsere Kolleg*innen uns dafür jedoch schätzen gelernt haben, wenn wir sie beherrschen.
- Systemische Kenntnisse: Weiterbildungen bezüglich Systemisches Arbeiten sind für Scrum Master*innen nützlich, die vor allem die Organisations- und Teamentwicklung besser verstehen, coachen und begleiten wollen, ohne selbst aktiv Lösungen vorschlagen zu müssen, sondern mit systemischen Fragetechniken die Ressourcen ihrer Kolleg*innen aktivieren möchten.
- Pädagogische Fähigkeiten: Grundsätzlich geht es bei Scrum um die Begleitung von Menschen in ihrem Lern-, Team-, und Verbesserungsprozess.
- Sämtliche bildungstheoretischen Erkenntnisse: bezogen auf Lernfähigkeiten und -räume, Reflexions- und Bildungsprozessen können der Scrum Master*in dienlich sein, ihre Zusammenarbeit mit ihren Kolleg*innen so zu gestalten, dass ihnen Veränderungen leichter fallen und sie Angebote und Einladungen bekommen, an denen sie andocken können.
- Wahrnehmungs- und Beobachtungsfähigkeiten: Je geschickter und wacher unsere Wahrnehmung ist, desto mehr Informationen können wir aus unseren Beobachtungen generieren. Diese Fähigkeit können wir trainieren, damit wir präsenter und konzentrierter bestimmte Dinge, wie z. B. Konflikte, Missverständnisse oder Verschwendungen in der Wertschöpfung wahrnehmen und sichtbar machen können.
- Kenntnisse in der Softwareentwicklung: Scrum ist in der IT-Welt entstanden, so dass viele Begriffe in der aktiven Community von der Informatik geprägt und erdacht wurden. Um Brücken bauen zu können und in Softwareprojekten unterstützen zu können, helfen jegliche Kenntnisse aus dem IT-Umfeld.
- Betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse: Die meisten Scrum Teams arbeiten in einem wirtschaftlichen Kontext, so dass jegliche Kenntnisse darüber, wie eine Organisation wirtschaftlich handeln kann und welche Herausforderungen bestehen, für die Scrum Master*in nützlich sein können, um die Vorteile und Konsequenzen von Scrum deutlicher herausstellen zu können.
- Gewaltfreie Kommunikation: Die GFK ist nicht einfach nur eine freundliche Ausdrucksweise, sondern ein ganzes Mindset von unterstützenden Hinweisen, um eine verbindende und energetisch bessere Kommunikation zwischen Menschen zu fördern. Wer GFK beherrscht beobachtet, anstatt zu bewerten, gibt niemandem (auch sich selbst) die Schuld für bestimmte Umstände, kann sich wirklich in die Bedürfnisse von anderen hineinversetzen und hat grundsätzlich ein besseres psychologisches Verständnis darüber, wie Menschen sich ausdrücken. GFK unterstützt außerdem die Scrum Master*in und das Scrum Team in Konfliktsituationen.
Hilfe! Bin ich jetzt ein schlechter Scrum Master, wenn mir viele dieser Fähigkeiten fehlen?
Mit Blick auf die Liste, die übrigens keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, fühlen sich viele von euch vielleicht verunsichert, weil sie vermuten, dass ihnen einige dieser Fähigkeiten noch fehlen. Allerdings ist Scrum ja ganz bewusst ein Framework, dass Menschen dabei unterstützt, sich weiterzuentwickeln und dazuzulernen. D. h. auch ihr dürft da stehen, wo ihr aktuell seid. Konzentriert euch vor allem zunächst auf die obligatorischen Skills und geht dann eure Schritte in einem geeigneten Tempo. Das Lernangebot ist heutzutage so groß wie nie zu vor, egal ob Barcamps, Präsenzschulungen, Agile Sprechstunde 😉 , Bücher oder Lernvideos.
Nur Mut! Auch gute Scrum Master fallen nicht vom Himmel!
In meiner über zehnjährigen Laufbahn als Scrum Master sind mir schon einige Menschen über den Weg gelaufen, die nicht alle notwendigen Fähigkeiten für ihren Beruf mit sich brachten. Scheut euch also niemals, einfach anzufangen und ins kalte Wasser zu springen! Der Scrum Guide ist teilweise nicht verständlich für alle Lerntypen konzipiert worden und vielen Menschen fehlt auch einfach nur der richtige Sparringspartner*innen. Schaut euch also nach entsprechender Unterstützung um, wenn ihr ein Assignment angenommen habt. Auch das Umfeld führt oft dazu, dass neue Scrum Master unter Druck geraten und eingeschüchtert werden sowie in Folge dessen ein völlig kontraproduktives Mindset ihrer Rolle verinnerlichen. Lasst uns also mehr darüber sprechen, welche Fähigkeiten es braucht und was wirklich die Aufgaben des Scrum Masters im Scrum Team und der Organisation sind.
Aufruf: Was könnte noch fehlen?
Wie in der Sprechstunde vorgeschlagen, werde ich ein offenes Google-Dokument erstellen, welches die hier beschriebenen Fähigkeiten auflistet. Bitte ergänzt die Liste dort, wenn ihr weitere Ideen oder Erkenntnisse bezüglich der Fähigkeiten eines Scrum Masters habt! Und falls euch die ganze Zeit durch den Kopf geht, was denn nun der unterschied zum Agile Coach ist, hilft euch vielleicht dieser Artikel weiter.