2020 ist noch nicht vorbei! Am Montag hatte ich ein sehr spannendes und längeres Interview mit Nicole Kraus aus Wien zum Thema New Work in Organisationen. Am Ende stellte sie fest, dass ich ihr erster Interview-Partner war, der das Konzept von Anfang bis zum Ende ihrer Fragen konsequent versucht hat, korrekt im Bergmann’schen Sinne zu erläutern.
Zum Glück habe ich mit scheinbar schwammigen oder nicht trennscharfen Begriffen inzwischen über 15 Jahre Erfahrung. Damals in meinem Studium ging es um den Bildungsbegriff. Was ist Bildung? Vielleicht so etwas wie Mündigkeit, vielleicht so etwas wie eine Lernreise, vielleicht auch die Entwicklung des Menschens selbst, sein Leben lang. Vielleicht ist Bildung auch so etwas wie verknüpfendes Lernen oder Lebendigsein. Und dann kam die agile Welle und jeder im Raum verstand unter agil etwas anderes…Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, hierarchiefreies Arbeiten oder schlicht agiles Projektmanagement. Vielleicht ist es auch eine Arbeitshaltung.
Und wenn wir über New Work sprechen oder beobachten, was auf Veranstaltungen zu New Work thematisiert wird, dann geht es fast noch konsequenter als bei agilen Barcamps um Unternehmenskultur, aber auch nach wie vor um Inneneinrichtung, Digitalisierung und neue Varianten der Bezahlung.
Inzwischen hat Frithjof Bergmann eine neue und von New Work SE (ehemals Xing) gesponserte Internetseite, die wesentlich genauer und grafisch klarer erläutert, was wir unter New Work oder Neue Arbeit zu verstehen haben. Dabei können sich alle Fans von Agilität merken, dass sich New Work ebenfalls mit drei Säulen definieren lässt. So wie wir von Agilität als kontinuierliche Arbeit mit Transparenz, Inspektion und Anpassung sprechen, so können wir die Neue Arbeit als eine Kombination aus Lohnarbeit, Calling (Berufung) und Eigenarbeit (do it yourself) definieren.
Die Lohnarbeit ist hier ein Fixgehalt: Wir arbeiten 1-2 Tage z. B. bei Google oder auf selbstständiger Basis, um durch einen Job ein Grundgehalt reinzuholen. Zu einem ähnlichen Anteil sind wir mit der Eigenarbeit oder Eigenproduktion beschäftigt. Es wäre nicht New Work, würden wir uns nicht neue Technologien zu eigen machen, mit denen wir unsere eigenen Geräte (wie z. B. Handys), das eigene Gemüse und das eigene Brot herstellen würden. Es geht ums Selbermachen von Dingen, die wir für unser modernes und zufriedenes Leben brauchen. Und wer nicht selbst eine kleine Werkstatt bei sich zu Hause einrichten kann oder will, der findet diese in einem Zentrum für Neue Arbeit, eine Art gemeinschaftliches Nachbarschafts- und Bildungs- und Produktionszentrum.
Die übrige Zeit beschäftigen wir uns mit dem wichtigsten auf dieser Welt: Uns selbst! Wir lesen, bilden uns weiter, probieren uns aus und reflektieren, welche Tätigkeiten und Erlebnisse uns im Leben Energie geben und nicht nehmen. Wir suchen nach Überraschungen und streben eine Freiheit an, die wir zuletzt als Kind erlebt haben. Diese Gefühle sind tief in uns und müssen zu Tage gebracht werden, was eine längere Reise des sich Kennenlernens in Anspruch nehmen kann. Und hier sehe ich wieder Parallelen zum Bildungsbegriff. Gelingt es uns Klarheit über all diese Fragen zu gewinnen, können wir unser Calling ergreifen, unsere Berufung und das, was wir wirklich und wahrhaftig den Rest unserer Zeit arbeiten wollen, weil es uns erfüllt und zu lebendigen Menschen macht.
In dem Büchlein „Neue Arbeit kompakt“ schreibt Stella Friedmann davon, dass wir es bei New Work mit einer Utopie zu tun haben und gleichzeitig ermutigt uns Bergmann mit seiner fröhlichen und hoffnungsvollen Art, die New Work weiterzuentwickeln und schrittweise anzugehen. Es geht nicht um die Abschaffung des Kapitalismus, sondern um seine Verbesserung. Wir können die Sache evolutionär angehen. Zwar ärgert es ihn, wenn wir (ich hoffe, ich erinnere mich richtig) unter dem Tomaten-und-Marmeladen-Syndrom uns bereits freuen, wenn wir unsere eigenen Tomaten anpflanzen oder eigene Marmelade herstellen und das dann mit New Work gleichsetzen, ich denke aber, es ist ein richtiger Schritt und zeigt, wieviel Kraft in der Eigenproduktion steckt. Die Menschen haben ja wirklich Lust darauf und die DIY Bewegung hat ja noch einiges mehr (gerade dieses Jahr) salonfähig gemacht. Meine Empfehlung: Einfach mal anfangen. Was kann ich selbst herstellen? Und mit wem könnte ich das zusammen tun oder Dinge teilen oder tauschen? Gibt es die Möglichkeit die Arbeitszeit meines Jobs zu kürzen? Brauche ich das Vollzeit-Einkommen, was ich habe? Wie kann ich Raum schaffen, um mich selbst besser kennen zu lernen und welcher Beruf würde mich als Mensch weiter und auf eine nächste Ebene bringen?
Naja, erstmal nüscht oder nix. Oder wie sagen wir in Berlin? Hier stehen sich zwei Lager gegenüber, also haben wir es mit mindestens zwei Wirklichkeiten zu tun: Diejenigen, die Bergmann und den Menschen im Fokus von New Work sehen und diejenigen, die es einfach als modernes, neues Arbeiten mit allem, was dazugehört, verstehen. Und hier kommt eben auch die Unternehmenskultur ins Spiel. Man kann es niemandem verdenken, ist der Begriff ja denkbar einfach gewählt. Es wird immer ein neues Arbeiten geben, immer wieder. Und wer mag sich schon mit einem Konzept aus den 80ern identifizieren? Schließlich ist auch nichts Verkehrtes dabei, eine Idee von früher als Zugpferd zu nehmen und neue Trends anzustoßen, die dazu führen, dass mehr über Unternehmenskultur, Arbeitsbedingungen und Zusammenarbeit gesprochen wird und im Zuge des demokratischen Wandels, der Emanzipation und der Digitalisierung sinnvolle Entwicklungen dazu führen, dass wir alle ins Gespräch darüber kommen, wie sich die Arbeitswelt für uns Menschen verbessern kann. Dabei bleibt jedoch stets offen, was wirklich passiert, wenn eine Organisation New Work einführen will oder eingeführt hat. Es gibt nur das Bergmann’sche Konzept, was mit Unternehmenskultur nichts zu tun hat und ein allgemeines Konzept, was Unternehmenskultur zwar einschließt, aber nicht klar definiert, was darunter zu verstehen ist. Ich habe in meiner Publikation damals tatsächlich versucht, New Work im Sinne und Nutzen von Zusammen-Arbeit zu definieren und Praxistipps zu geben. Vielleicht wird ja hier der ein oder die andere fündig. Die Grenzen zum agilen Arbeiten sind aufgrund meiner Historie, aber auch aus rein praktischen Gründen, fließend.
Nach dem ich sein Hauptwerk wirklich studiert habe, bin ich bekennender Fan von Frithjof Bergmann geworden. An seinen Ideen aus den 80er Jahren ist nichts altbacken – im Gegenteil. Er hat eine Vision verschriftlicht, die sowohl bildungswissenschaftliche, gemeinwohlökonomische als auch philosophische Aspekte wundervoll zusammenbringt und zeitlos ist. Ich unterstütze seine Gedanken und werde seine Ideen weiter mit unserem Zentrum für Neue Arbeit ausprobieren und versuchen, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Ich werde gleich eine Email an Andy Mayer, mit Bitte um Rückmeldung von Frithjof zu unserem Konzept, versenden. Drückt mir die Daumen und bleibt gespannt!