Nach wie vor ist agiles Arbeiten eines der Top-Themen der heutigen Arbeitswelt, während es gleichzeitig aufgrund der teuren „Anschaffungskosten“ (Einführung durch externe Trainer*innen, Weiterbildungs- und Zeitaufwand auf Seiten der Mitarbeitenden, Investitionen in „Agile Labs“ oder diverse „Keimzellen“) und auch Widerständen auf verschiedenen Ebenen in der Transformationsphase skeptisch betrachtet und stets in der Kritik steht. Dieser Artikel setzt sich daher damit auseinander, welche Gestaltungskompetenzen aus meiner Erfahrung heraus bei Veränderungsvorhaben mitgeschult werden müssten, die im Speziellen für das agile Arbeiten die Grundlage bilden.
Wir haben dieses Thema in diesem Blog bereits aus verschiedenen Perspektiven heraus beleutet (Empirie, Produktentwicklung und Anpassungsfähigkeit). Meine heutige Definition ist, dass wir in Anlehnung an das Agile Manifest unter agilem Arbeiten verstehen, dass Menschen in einer Organisation stets versuchen beim Arbeiten ein Auge darauf zu haben, bessere Wege zu entwickeln, die sie selbst auch mal ausprobieren und auch anderen aktiv dabei helfen. Operationalisieren lässt sich das, indem wir unsere Arbeit und Arbeitsmethoden transparent machen und beides an geeigneten Zeitpunkten inspizieren und anpassen sowie proaktiv Unterstützung anbieten.
Agiles Arbeiten wird jedoch im Kontrast zu meiner Erläuterung oft mit diversen Agilen Frameworks oder anderen Glaubenssätzen gleichgesetzt, die natürlich jede Organisation und jede ihrer Abteilungen sowie die betreffenden Mitarbeitenden vor überfordernde Probleme stellt. Hier eine kleine Auswahl solcher unglücklichen Interpretationen:
Die Auflistung ist so gruselig, dass ich nicht einfach mit dem nächsten Absatz weitermachen kann, ohne hier noch einmal explizit zu unterstreichen, dass keine dieser Aussagen zutrifft, was agiles Arbeiten betrifft!!!
Wenn wir uns nun darauf fokussieren, dass agiles Arbeiten etwas damit zu tun hat, bessere Wege zu entwickeln, diese zu geeigneten Zeitpunkten ausprobieren und auch anderen dabei helfen zu wollen, dann stoßen wir oft in der Community auf die Diskussion, dass alles eine Frage der Haltung sei. Haltung ist etwas, dass können wir jedoch schwer sehen oder greifen und in Folge dessen auch kaum erklären oder anderen beibringen. Haltung ist sehr verwandt mit Arbeitshaltung, also wie verhalte ich mich bei der Arbeit sowie mit Mindset, also was ist meine Einstellung des Denkens. In Kombination ergibt Haltung also unser Wesen, wie denke und wie verhalte ich mich. Wir können uns vorstellen, dass mit einer konstruktiven und lösungsorientierten Haltung uns das agile Arbeiten leichter gelingen kann, während mit einer ängstlichen oder misstrauischen Haltung es uns eher schwer fallen wird, die Augen für bessere Wege offen zu halten und anderen sogar dabei zu helfen, selbst Experimente durchzuführen.
Meine Vermutung ist, dass viele agile Transformationen Schwierigkeiten auslösen, weil wir den Menschen weder verständlich erklären, was agiles Arbeiten ist, noch ihnen einen Weg aufzeigen, wie sie ihre Haltung weiterentwickeln können. Ich formuliere das bewussst neutral, da es natürlich keine schlechte oder gute Haltung gibt. Entwicklung ist jedoch immer möglich und liegt in der Natur des Menschens und da können wir ansetzen. Manche formulieren das auch mit, „wir müssen die Menschen da abholen, wo sie stehen“. Gleichzeitig wurde ich oft gefragt, wie dieses Abholen denn ablaufen soll. Da steht ja nicht irgendwer im Tal des Misstrauens und wartet auf seinen Bus.
Mein Ansatz ist daher, dass wir bei der Auftragsklärung auch auf das Thema Schlüsselqualifikationen und Gestaltungskompetenzen schauen. Aus meiner Perspektive sind das die Hebel, die wir den Menschen an die Hand geben können, um ihre Haltung zu reflektieren. Eine gezielte Schulung ihrer Fähigkeiten und Kompetenzen ist also gefragt!
Wir wissen von der Selbstbestimmungstheorie (Ryan/Deci), dass das Grundbedürfnis nach Kompetenz Menschen dazu antreibt, mitzumachen und sich aus der Komfortzone zu bewegen. Hintergrund kann ein Gefühl von „ich kann das gut“ bis zu „ich werde immer besser“ oder auch „wow, das würde ich gerne können“ sein!
Selten sprechen wir jedoch explizit darüber, welche Kompetenzen beim agilen Arbeiten zur Anwendung kommen. D. h. Mitarbeitende wissen weder, was die Perspektive auf neue Kompetenzen ist, wenn wir ihnen die Option geben, agil zu arbeiten, noch können sie abgleichen, ob ihnen das eigentlich liegt! Ich vermute sehr stark, dass wenn wir nicht wissen, um welche Fähigkeiten und Kompetenzen es geht, wir automatisch ablehnend, also unmotiviert reagieren, da uns der Ausblick und die Referenz fehlt, um genau den beschriebenen Check unterbewusst machen zu können. Agiles Arbeiten klingt dann in unseren Ohren nach einem Trend oder schlicht nach Mehrarbeit, die uns die Vorgesetzten aufdrücken wollen.
Von der anderen Seite betrachtet geht es nicht nur um diesen Ausblick auf Fähigkeiten und Kompetenzen, sondern auch um ihre Notwendigkeit. Ich kann schließlich auch keine Software entwickeln, wenn ich nicht programmieren kann. Und genauso wenig kann ich agil Arbeiten, wenn ich nicht empathisch bin oder nie gelernt habe, mich ehrlich zu reflektieren. Dies ist eine große Herausforderung für die Personalentwicklung oder ggf. für die externen Trainer*innen, die versuchen, agiles Arbeiten einzuführen. Von daher braucht jeder Auftrag einer agilen Transformation auch eine Qualifizierung der Mitarbeitenden bezogen auf bestimmte Fähigkeiten.
Ich möchte meine Gedanken dieses Blogartikels erstmal sacken lassen, bevor wir gemeinsam darüber nachdenken, welche Schlüsselqualifikationen es exakt braucht, um agil zu arbeiten.
Wer mich kennt weiß, dass ich offen für Diskussionen bin und keinen Blogartikel beenden würde, ohne einen konkreten Tipp zu geben, wie man die Lösung operationalisieren könnte. Ich habe den Artikel auch deshalb ganz bewusst so genannt, wie er jetzt heißt, weil ich mir sehr gut vorstellen kann, dass sich ein Verständnis darüber, was Gestaltungskompetenz nach Gerhard de Haan und Dorothee Harenberg bedeutet sehr lohnt, wenn wir zu agilen Organisationsformen und den Fähigkeiten unserer Mitarbeitenden mit Bezug zum agilen Arbeiten erfolgreicher werden wollen. An dieser Stelle möchte ich die 12 Teilkompetenzen auflisten, die dem Konzept zu Grunde liegen:
Ohne einen geeigneten Ausblick auf verschiedene Qualifikationen können Mitarbeitende weder agil arbeiten noch dafür motiviert werden. Es ist daher wichtig, dass in der agilen Transformation beachtet wird, dass Fortbildungen für sinnvolle Schlüsselqualifikationen angeboten werden, die das Setting von Methoden und Agilen Frameworks deutlich erweitern. Wir versuchen in unserer Agile Coach Ausbildung auf verschiedene solcher Teilkompetenzen einzugehen. Grundsätzlich begrüße ich zusätzlich eine noch viel ausführlichere Diskussion darüber, welche Schlüsselqualifikationen es in Organisationen wirklich braucht, um tatsächlich agiles Arbeiten etablieren zu können.